
Sam Altman von OpenAI hat Anfang des Jahres prognostiziert, dass 2025 die ersten AI Agents "der Arbeitswelt beitreten" werden. Mark Zuckerberg spricht von "persönlicher Superintelligenz für jeden". Dario Amodei von Anthropic erwartet bis 2026 oder 2027 KI-Systeme, die "besser als alle Menschen in fast allem" sind. Die Versprechen sind groß, die Visionen ambitioniert. Doch was bedeutet Agentic AI konkret für die Hotellerie? Wie unterscheidet sie sich von der generativen KI, die wir bereits kennen? Und vor allem, was kann sie heute schon leisten?
Als Unternehmen, das seit sieben Jahren KI-Lösungen für Hotels entwickelt und im Herbst 2025 die ersten AI Agents in produktiven Betrieb genommen hat, möchte ich diese Fragen aus der Praxis beantworten.
Um Agentic AI einzuordnen, hilft ein Blick auf die Entwicklungsstufen künstlicher Intelligenz. Wir erleben derzeit einen kontinuierlichen Fortschritt, der sich in drei Phasen einteilen lässt.
Generative AI hat uns gezeigt, wie KI Inhalte erstellen kann. Sie kann schreiben, sprechen, programmieren und komponieren. In der Hotellerie beantwortet KI bereits selbständig Gästeanfragen in Textform oder am Telefon, erstellt personalisierte Angebote oder verfasst Beschreibungen für Buchungsportale. Generative KI ist grundsätzlich reaktiv, sie antwortet auf Anfragen und generiert Inhalte auf Abruf.
Agentic AI geht einen entscheidenden Schritt weiter und nimmt eine proaktive Haltung ein. Sie kann selbstständig Entscheidungen treffen und die Initiative ergreifen, um Ziele zu erreichen, dabei nutzt sie mehrstufiges Reasoning und führt komplexe Aktionen aus. Um Aufgaben auszuführen, greift Agentic AI auf externe Tools, APIs und Systeme zu und koordiniert diese. Sie speichert und ruft langfristige, strukturierte Erinnerungen ab, die Kontext, Fortschritt und Nutzerpräferenzen verfolgen, was eine tiefe Personalisierung über mehrere Sitzungen hinweg ermöglicht.
Physical AI ist die dritte Evolutionsstufe, die bereits am Horizont sichtbar wird. Hier sprechen wir von KI, die in die physische Welt integriert wird, von Robotern, die verstehen, wie Objekte sich verhalten, von autonomen Systemen im Hotelbereich. Wie Jensen Huang es ausdrückt, AI, die "Konzepte wie Reibung, Trägheit und Ursache-Wirkung versteht".
Diese drei Phasen bauen aufeinander auf. Jede ist ein logischer nächster Schritt, keine fundamentale Neuerfindung. Deshalb spreche ich bewusst von Evolution statt Revolution.
Bei DialogShift haben wir im Herbst 2025 drei spezialisierte Agents in unser Produkt integriert, die diese Konzepte in der täglichen Hotelpraxis umsetzen.
Der Booking Agent macht aus Anfragen Buchungen. Wenn ein Gast nach einem freien Doppelzimmer für nächstes Wochenende im Chat oder am Telefon fragt, verbindet sich die KI direkt mit dem Property Management System oder dem Buchungssystem des Hotels, prüft in Echtzeit die Verfügbarkeit, zeigt passende Zimmeroptionen mit Preisen, beantwortet Rückfragen zu Ausstattung oder Stornierungsbedingungen und führt den Gast bis zur finalen Buchung. Der gesamte Prozess läuft automatisiert ab ohne dass das Team eingreifen muss. Das Ergebnis sind höhere Conversion-Raten und weniger verlorene Buchungen.
Der Google Maps Agent liefert lokale Expertise in Echtzeit. Auf Fragen wie "Wie weit ist es zum Hauptbahnhof?" oder "Wo kann ich in der Nähe gut essen?" recherchiert die KI live auf Google Maps, findet die aktuell relevante Information und sendet dem Gast direkt einen Link zur Route oder zum Ort. Das ist keine statische Wissensdatenbank mit vorgefertigten Antworten, sondern echte Recherche, die genau dann stattfindet, wenn der Gast die Information benötigt. Die KI fragt auch nach, wenn die Frage zu offen gestellt wurde.
Der Angebotsagent erstellt personalisierte Angebote mit dem Angebotsmanager von Smart Host in Sekunden. Wenn ein Gast ein individuelles Angebot wünscht, führt der Chatbot ein strukturiertes Gespräch, erfasst alle relevanten Details wie Anreisedatum, Personenzahl, besondere Wünsche usw., übermittelt diese Informationen direkt an den Angebotsmanager von Smart Host, und der Gast erhält binnen Sekunden ein maßgeschneidertes, professionelles Angebot per E-Mail. Aus einem Prozess, der früher Stunden dauerte, werden Sekunden. Der Gast muss kein Formular mehr ausfüllen, sondern führt einfach ein Gespräch mit der Hotel KI.
Diese Agents sind keine Zukunftsvision, sie arbeiten bereits heute bei unseren Kunden.
Während die Tech-Giganten von Superintelligenz und Multi-Billionen-Dollar-Märkten sprechen, sieht die Realität in der Hotellerie oft komplexer aus. Die größte Herausforderung bei der Implementierung von Agentic AI ist nicht die Technologie selbst, sondern die gewachsenen IT-Strukturen unserer Branche.
Hotels arbeiten mit einer Vielzahl von Systemen. Property Management Systeme, Channel Manager, Buchungsmaschinen, CRM-Systeme, Revenue Management Tools, Point-of-Sale-Systeme in Restaurant und Bar. Viele dieser Systeme sind Jahrzehnte alt, proprietär und nicht dafür gebaut, mit moderner KI zu kommunizieren. Die Integration ist komplex, zeitaufwendig und teuer.
Hier kommt eine der spannendsten Entwicklungen des letzten Jahres ins Spiel: das Model Context Protocol. Dieses von Anthropic entwickelte offene Protokoll ermöglicht es KI-Systemen, auf standardisierte Weise mit verschiedenen Datenquellen und Tools zu kommunizieren. Statt für jedes System eine eigene, komplexe API-Integration zu entwickeln, bietet MCP eine einheitliche Schnittstelle.
Für die Hotellerie würde das einen enormen Fortschritt bedeuten, sofern MCP sich durchsetzt. Ein AI Agent könnte nämlich über MCP mit dem PMS kommunizieren, Verfügbarkeiten prüfen, mit dem Revenue Management System Preise abrufen, über den Channel Manager Buchungen vornehmen und gleichzeitig das CRM aktualisieren, alles über eine standardisierte Schnittstelle. Das würde die Implementierungszeit von Monaten auf Wochen reduzieren und Agentic AI auch für kleinere und mittlere Betriebe zugänglich machen.
Einer der vielversprechendsten Anwendungsbereiche für Agentic AI ist die Reiseplanung und Buchung. McKinsey hebt in einer aktuellen Studie aus September 2025 hervor, dass Agentic AI die gesamte Reiseindustrie grundlegend verändern könnte, nicht durch Disruption, sondern durch intelligente Automatisierung.
Das traditionelle Modell der Reiseplanung ist fragmentiert. Flüge auf verschiedenen Websites vergleichen, Hotels durchsuchen, Bewertungen lesen, Verfügbarkeiten prüfen, Restaurants recherchieren, Tickets für Museen kaufen. Jeder Schritt ein eigener Prozess, jede Buchung eine separate Transaktion. Mit Agentic AI wird dieser Prozess nahtlos. Der Gast teilt seine Präferenzen mit einem AI Agent, Budget, Reisedaten, Interessen. Der Agent übernimmt den Rest. Er findet passende Flüge, vergleicht Hotels basierend auf den individuellen Präferenzen des Gastes, prüft die Verfügbarkeit in Restaurants, die zum Geschmack passen, schlägt kulturelle Events vor und bucht alles mit Zustimmung des Gastes. Wenn sich etwas ändert, ein verspäteter Flug, ein Wetterwechsel, ein unerwartet geschlossenes Museum, passt der Agent die Pläne automatisch an.
Für Hotels bedeutet das eine fundamentale Verschiebung. Wer nicht in diesem agentischen Ökosystem präsent ist, wird zunehmend unsichtbar. Die Zukunft der Distribution liegt nicht mehr nur in OTAs oder der eigenen Website, sondern darin, dass AI Agents Hotels finden, verstehen und empfehlen können.
Wenn ich an die Zukunft der Hotellerie denke, sehe ich keine dystopische Welt, in der Roboter Menschen ersetzen. Ich sehe etwas viel Subtileres und gleichzeitig Mächtigeres. AI, die einfach überall ist.
Agentic AI wird die Hotellerie nicht über Nacht transformieren. Die Implementierung braucht Zeit, Investitionen und vor allem ein schrittweises Vorgehen. Aber sie wird kommen, und Hotels, die jetzt beginnen zu experimentieren, zu lernen und Schritt für Schritt zu implementieren, werden einen entscheidenden Vorsprung haben.
Die gute Nachricht ist, dass wir nicht bei Null anfangen müssen. Die Infrastruktur entwickelt sich weiter, die Daten sind zunehmend verfügbar, die KI-Modelle werden kontinuierlich besser. Und mit Standards wie MCP wird die Integration immer einfacher.
Was wir jetzt brauchen, ist der Mut, diese Technologie nicht als Bedrohung zu sehen, sondern als das, was sie ist: ein mächtiges Werkzeug, um das zu tun, was wir in der Hotellerie schon immer tun wollten. Unseren Gästen unvergessliche Erlebnisse zu bieten, nur effizienter, personalisierter und mit mehr Raum für die menschlichen Momente, die wirklich zählen.